Einsamkeit in Coronazeiten

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Einsamkeit in Coronazeiten und auch in anderen Zeiten ist eine Bitternis.

Kleines Solo

Einsam bist du sehr alleine.

Aus der Wanduhr tropft die Zeit.

Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.

Träumst von Liebe. Glaubst an keine.

Kennst das Leben. Weißt Bescheid.

Einsam bist du sehr alleine –

und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Wünsche gehen auf die Freite.

Glück ist ein verhexter Ort.

Kommt dir nahe. Weicht zur Seite.

Sucht vor Suchenden das Weite.

Ist nie hier. Ist immer dort.

Stehst am Fenster. Starrst auf Steine.

Sehnsucht krallt sich in dein Kleid.

Einsam bist du sehr alleine –

und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Schenkst dich hin. Mit Haut und Haaren.

Magst nicht bleiben, wer du bist.

Liebe treibt die Welt zu Paaren.

Wirst getrieben. Mußt erfahren,

daß es nicht die Liebe ist …

Bist sogar im Kuß alleine.

Aus der Wanduhr tropft die Zeit.

Gehst ans Fenster. Starrst auf Steine.

Brauchtest Liebe. Findest keine.

Träumst vom Glück. Und lebst im Leid.

Einsam bist du sehr alleine –

und am schlimmsten ist die Einsamkeit zu zweit.

Erich Kästner 1899 bis 1974

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Einsam ist jeder Busch und Stein,

Kein Baum sieht den anderen,

Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,

Als noch mein Leben licht war;

Nun, da der Nebel fällt,

Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,

Der nicht das Dunkel kennt,

Das unentrinnbar und leise

Von allem ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!

Leben ist Einsamsein.

Kein Mensch kennt den andern,

Jeder ist allein.

Hermann Hesse 1877-1962

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.

Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,

und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;

gib ihnen noch zwei südlichere Tage,

dränge sie zur Vollendung hin, und jage

die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris